Der Lange Weg !

Ein Beitrag von Irmgard Scheer-Pontenagel
Vorsitzende des Stiftungsrates, Hermann-Scheer-Stiftung

Am 14. Oktober jährt sich der Todestag von Hermann Scheer zum 15. Mal.
Sein über 30 Jahre langes Wirken als Politiker und Parlamentarier wurde weltweit anerkannt und wirkt über seinen Tod hinaus.
Seine Bücher vermitteln seine Erfahrungen als Parlamentarier – die gesellschaftliche und politische Rolle der Energiewirtschaft stand sehr früh im Vordergrund seines Interesses.
1980 zog er als Abgeordneter der SPD in den Deutschen Bundestag ein und wurde Mitglied des Verteidigungsausschusses. Später, als Vorsitzender des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle, beschäftigte ihn die Atomwirtschaft mit den Komponenten militärische und energetische Nutzung.
1986 schrieb Hermann Scheer das Buch „Die Befreiung von der Bombe – Weltfrieden, europäischer Weg und die Zukunft“, es enthält einen Exkurs zur Wasserstoffwirtschaft. Die Energiewirtschaft in Deutschland wurde in jener Zeit von den Konzernen der fossilen und atomaren Energien geprägt. Umwelt- und Klimafolgen wurden öffentlich kritisiert und in der Gesellschaft dominierte nach langen Auseinandersetzungen und Diskursen die Forderung nach „Transformation“. Grundforderung war der Ausstieg aus den fossilen und der Einstieg in die Nutzung Erneuerbarer Energien (EE).

Der Parlamentarier !
Sonnenstrategie und der Weg zur Internationalen Energie Agentur (IRENA)
Mit der „Sonnenstrategie“ und weiteren Büchern bis zur Veröffentlichung von: „Der energethische Imperativ“ hat er viele Leserinnen und Leser in Europa, ja, in der Welt erreicht und fasziniert. Seine Thesen machten nachdenklich, wurden zu Leitgedanken und regten zum Handeln an. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) – ein „Parlamentsgesetz“, wie Hermann Scheer gern und immer wieder betonte – wurde im Jahr 2000 im Deutschen Bundestag verabschiedet und von Regierungen in vielen anderen Ländern übernommen. Wenn Deutschland heute 60 % seines Stroms aus Erneuerbaren Energien (EE) deckt, das in der EU zu fast 50 % geschieht und wenn dabei in manchen Sommermonaten der Strom allein aus Photovoltaik die Kernenergie überholt, dann sind das Entwicklungen, die damals ihren Anfang nahmen.

Seine zielgerichteten Aktivitäten für die Schaffung einer internationale Energieagentur (IRENA) liefen über viele Jahre. Auf einem von ihm initiierten internationalen Parlamentarier Forum beschlossen 2004 in Bonn Parlamentarier aus über hundert Ländern die Einrichtung dieser neuen Institution. Die IRENA (International Renewable Energy Agency) wurde schließlich 2009 in Bonn von der Bundesregierung mit 75 unterzeichnenden Ländern gegründet. Hermann Scheer suchte und erhielt in diesem langjährigen politischen Prozess die Unterstützung der Parlamentarierinnen und Parlementarier aus vielen Ländern genauso wie zuvor auf dem Weg zum EEG in Deutschland.
Die jährlichen Berichte der IRENA – mit Sitz in Abu Dhabi und Bonn – dokumentieren, wie rasant sich anschließend die EE auf der Welt ausbreiteten und nun genutzt werden. Zudem offenbaren sie die vielen Vorteile: keine Kosten für fossile Primärenergie sowie die für Gesundheit- und Umweltschutz. Letztere sind von ungeheurer Bedeutung für Länder, die sich allein aus Kostengründen nicht an dem Run auf fossile Energien beteiligen konnten. Die Entwicklungschancen dieser Länder waren stark eingeschränkt.

Was ist Abschreckung – braucht die Welt Atomwaffen ?
In seinem Buch „Die Befreiung von der Bombe“ greift Hermann Scheer ein Thema auf, das einerseits in den 1980er Jahren zur Zeit des „kalten Krieges“ im Zentrum öffentlicher politischer Debatten stand und noch heute aktuell ist. Er schreibt: „Atomwaffen sind nicht allein Mittel der Abschreckung und einer möglichen Vernichtung allen Lebens. Sie sind unverträglich mit jeder stabilen Friedenspolitik, menschlichem Gemeinschaftssinn und jeder Zivilisationsmoral, unverträglich mit politischen Verfassungen, mit der Zukunft der Demokratie und mit loyalen Staatenbündnissen, unverträglich mit den wirtschaftlichen Anforderungen für unsere Daseinsbewältigung und unverträglich mit der Zukunft der Deutschen, Europas und der Atommächte selber.“*

40 Jahre liegen im nächsten Jahr zwischen diesen Aussagen und stellen uns auch heute noch oder wieder vor Fragen, die schon damals polarisierten. Heute wie damals lautet die Grundsatzfrage: Braucht Deutschland, braucht die EU, braucht die Welt Atomwaffen?
Heute wie damals steht dabei der Begriff „Abschreckung“ im Mittelpunkt. Atomkraft und ihre Nutzung – ob militärisch zur Abschreckung oder zur energetischen Nutzung – sollten im 21. Jahrhundert keine Option mehr sein. Vor 80 Jahren erlebte die Menschheit den ersten Einsatz und Abwurf zweier Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki durch die USA mit zehntausenden von Toten und Strahlungsopfern über Jahrzehnte und Generationen. Da immer mehr Staaten auf dem Weg dieser Art der „Abschreckung“ sind, muss die Frage: „Braucht die Welt Atomwaffen“ ausgeweitet werden. Von der bipolaren zur multipolaren Abschreckung verkürzt sich der Begriff zum unkontrollierbaren „Schrecken“!

Friedenspolitik !
Rüstungskontrolle und Abrüstung einschließlich die Ächtung von Atomwaffen muss im Vordergrund jeder Friedenspolitik stehen. Diskussionen dazu müssen aus Zirkeln oder Fachkreisen heraus und einer breiten Öffentlichkeit ermöglicht werden. Der 2021 von vielen Ländern verabschiedete und unterschriebene Atomwaffenverbotsvertrag ist dazu die Grundlage. Die deutsche Unterschrift steht noch immer aus!
Was fehlt, ist eine breite Diskussion dieser Themen – in und von der Gesellschaft gewollt und getragen.
Nur mit neuen Abrüstungsmaßnahmen der Atommächte kann verhindert werden, dass immer mehr Staaten ihre „Abschreckung“ über Atomwaffen sichern wollen.
Unterzeichnern des Atomwaffensperrvertrages, die keine eigenen Atomwaffen anstreben, wird im Gegenzug die Unterstützung bei der „friedlichen“ Nutzung der Atomenergie vertraglich zugesagt. Ob ein Land allerdings Atomenergie friedlich nutzen kann, hängt von dessen volkswirtschaftlichen Möglichkeiten ab. Der Aufbau eines Atomkraftwerks ist teuer und das know-how liegt in den Händen weniger Länder sowie der bestehenden Atomwirtschaft.
Dass es auch hier zu Konflikten kommt, zeigte zuletzt der Bombenangriff Israels und USA gegen das Atomprogramm des Iran. Als Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrages war dem Land die energetische Nutzung von Atomkraft möglich. Berichte – auch internationaler Institutionen – und die Vermutung einer überhöhten Urananreicherung zur militärischen Nutzung lösten den Konflikt aus.
Der Betrieb von Atomkraftwerken zur energetischen Nutzung steht unter der Aufsicht der Internationalen Atomenergie Agentur (IAEA), so auch das Atomprogramm des Iran. Wie wichtig diese vertraglichen Absprachen der Weltgemeinschaft sind, haben Störungen und Unfälle in Atomkraftwerken gezeigt. In besonderer Erinnerung bleibendie Vorfälle in Tschernobyl und Fukushima.

Solare Weltwirtschaft !
Die Idee und der Einsatz von Hermann Scheer dafür, der IAEA eine IRENA entgegenzusetzen, ist erfolgreiche Realität. Erst mit der Transformation der Energiebereitstellung über Erneuerbare Energie in eine „Solare Weltwirtschaft“ gibt es keine Notwendigkeit mehr, auf Atomenergie mit den beschriebenen Risiken zu setzen – es sei denn zur militärischen Nutzung! „Die Befreiung von der Atombombe ist der politische Schlüssel zu einer Konzentration der Staatenwelt – einschließlich der Atommächte selbst – auf die politischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Überlebensprobleme unserer Zeit. (…) Zunehmend fraglicher ist geworden, ob die Atommächte noch selbst über diese Machtkomplexe regieren. (…) erzeugen die Atommächte damit einen Zustand lähmender Ablenkung von den explosionsartig anwachsenden ökonomischen und ökologischen Problemen der Welt.“ (S. 7/8) *

*Hermann Scheer, Die Befreiung von der Bombe – Weltfrieden, europäischer Weg und die Zukunft, 1986, 7/8

*Hermann Scheer – Die Befreiung von der Bombe –