Zum 14. Oktober: Im Gedenken an Hermann Scheer – Beitrag von Irm Scheer-Pontenagel

Von Irm Scheer-Pontenagel, Vorsitzende des Stiftungsrats der Hermann-Scheer-Stiftung, Gründungsmitglied von EUROSOLAR und Geschäftsführerin bis 2015.

Heute am 14.10.2020 jährt sich de Todestag von Hermann Scheer zum zehnten Mal – eine ursprünglich zum Gedenken angedachte Konferenz durch die Hermann-Scheer-Stiftung, konnte leider wegen der Pandemiebeschränkungen nicht weiterverfolgt werden.

Die heutigen politisch formulierten Ziele sowohl auf der EU Ebene aber auch in Deutschland liegen noch immer weit hinter den Möglichkeiten, die Hermann Scheer in seinen Schriften und durch sein Wirken entwickelte und deren Umsetzung entschiedener von den heutigen gesellschaftlichen und politischen Akteuren aufgegriffen werden müssten.

Seine zwei ersten Bücher zum Thema mit den Titeln „SOLARZEITALTER“ und „Sonnenstrategie – Politik ohne Alternative“ (1995) – in mehrere Sprachen übersetzt – formulierten das Grundverständnis zum Einstieg in die Energiesystemwende. Von der Energiequelle her gedacht von den Fossilen- zu den Erneuerbaren. Ein Paradigmenwechsel, der bis heute noch immer in seiner umfassenden Bedeutung unterschätzt wird. Vom Zentralen- zum Dezentralen mit dem Wechsel der Träger des Systems und dem Bewusstmachen, dass es dabei Gewinner und Verlierer geben wird und es Aufgabe der Politik sein muss, diesen Wandel durch fördernde Rahmenbedingungen zu gestalten ohne diese notwendige Wende Marktmachtinteressen zu opfern.

In der Überzeugung, dass ein gesellschaftlicher Wandel in dieser Frage nur mit Unterstützung eines breiten Bürgerengagements erfolgreich sein kann gründete er mit Gleichgesinnten im Jahr 1988 EUROSOLAR als internationale Organisation mit Sitz in Bonn. Die Zusammenfassung 25 Jahre EUROSOLAR – von der Initiative zum Vorreiter -Von der Vision zur Praxis – dokumentiert die wichtigsten Aktivitäten. Dabei ist neben der Initiative int. Konferenzen zu Themen Architektur und Speicherfragen Erneuerbarer Energien sowie Studien und Memoranden die Begleitung von Bundestagswahlen mit ganzseitigen Anzeigen in überregionalen Printmedien unterzeichnet und getragen von engagierten Bürgern hervorzuheben. Besondere Aufmerksam erhält sicherlich die jährliche Vergabe des Deutschen und Europäischen Solarpreises seit 1995. Die Würdigung der Ausgezeichneten durch Dokumentationen ihrer Aktivität in verschiedenen Kategorien belegt, dass sich der Weg zur praktischen Umsetzung der Energiewende in der Praxis vielfältig vollzieht. Die Aktion Kommunale-Solarenergie-Initiative (KSI) mit dem Leitfaden – Erneuerung von Gemeinden und Regionen durch Erneuerbare Energien (1998) und die Mitgliederzeitung SOLARZEITALTER seit Gründung der Organisation wirkten dabei unterstützend.

Zur Ausgestaltung der notwendigen politischen Rahmenbedingungen, ohne die neue Träger weder in der Politik noch in der Gesellschaft aktiv werden können hat Hermann Scheer die Gesetzesinitiative als Abgeordneter des deutsche Bundestages gleich mitgeliefert. Unterstützt von gleichgesinnten Parlamentariern wurde so das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 verabschiedet und weltweites Vorbild.

In seinem Buch „Solare Weltwirtschaft“ beschreibt er die Abhängigkeit der Gesellschaft im Energiebereich von Versorgungsstrukturen internationaler Monopole und ihren Einfluss. Er sieht die dritte Welt „in der fossilen Ressourcenfalle“ und das trotz Ressourcenreichtum. Dabei sei das gegenwärtige Problem der Weltwirtschaft nicht, dass sie sich „globalisiert“, sondern dass weltweit vorrangig auf fossile Energien gesetzt wird statt auf die Kraft der Sonne. Solange nur in einigen Regionen vorhandene Ressourcen die Wirtschaftsentwicklung bestimmen, seien zunehmende Konflikte vorprogrammiert. Heut zeigt sich, wie vorausschauend diese Thesen waren. Die Belastung der Atmosphäre mit Emissionen der fossilen Energiewirtschaft als Verursacher von Armut und Klimawandel kann nur durch den regionalen Quellenwechsel als Transformation zum Systemwechsel mit Erneuerbaren Energien überwunden werden. So werden neue Kreisläufe und Wertschöpfungsketten weltweit aufgebaut.

In seinem folgenden Buch „Energieautonomie“ beschreibt er die Chancen, die sich anderseits durch das dezentrale Energieangebot für die Gesellschaften stellen. Regional dezentral sieht er die Wertschöpfung der Energiewende für die Bürger. Mit steigender Autonomie und dem Bewusstsein selbst tätig werden zu können, steigt auch in den Industrieländern die Akzeptanz zum Wandel. Die technische und kostengünstige Entwicklung vor allem der Photovoltaik im Zusammenhang mit neuen Speichertechniken machen den bisher „Versorgten“ zum „Prosumer“ mit eigener Stromproduktion für Licht, Wärme, Arbeitsprozesse und Mobilität. Dabei wächst der Wunsch nach Autarkie in der Gesellschaft in dem Maße, wie behindernde politische Rahmenbedingungen als Blockaden das Engagement die Investition und die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen beschränkt.

Im Jahr seines Todes legte Hermann Scheer sein letztes Buch zum Thema Energiesystemwende vor: „Der Energethische Imperativ – 100% jetzt !“. Er widmete es seiner damals sechsjährigen Enkelin Lilli Scheer wohl vorausschauend, dass erst diese Generation die Chance haben wird, die echte Energiesystemwende von den Fossilen zu den Erneuerbaren zu erleben und zu sichern. In diesem Buch analysiert er auch nochmals die Bedeutung von Weltklimakonferenzen sowie den Emissionshandel. Seit 1995 finden Weltklimakonferenzen nach ein und dem selben Schema statt und die Ergebnisse sind ernüchternd. Er nennt es den „organisierten Minimalismus“ der aus dem Glauben erwächst, dass ein globales Problem wie die Klimaerwärmung nur im Konsens und über eine globale „faire Lastenverteilung“ ausgehandelt werden könne. Minimalverpflichtungen und der Aufbau einer umfassenden Bürokratie für den Handel mit Emissionszertifikaten haben sich dabei als Sackgasse erwiesen. Hinzu kamen betrügerische Machenschaften die von keiner Kontrollbürokratie verhindert und seine frühe Einschätzung dieses untauglichen „Marktinstruments“ belegen. Dem gegenüber forderte er den Markt mit Erneuerbare Energien und gleichen Marktteilnehmern, die in seinen Augen nur durch eine Gesetzesgrundlage wie das EEG sichergestellt werden kann.

In Rahmen des Atomwaffensperrvertrags als „Nichtverbreitungsvertrag“ verpflichten sich die Atomwaffenstaaten die Nichtatomwaffenstaaten beim Aufbau der friedlichen Nutzung der Atomenergie als „Verbreitungsvertrag“ zu unterstützen. Dazu wurde die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) geschaffen.

Hermann Scheer erarbeitete dem gegenüber die Struktur einer Weltregierungsorganisation für Erneuerbare Energien (IRENA) und warb weltweit für dieses Konzept. Nach einem langen Entscheidungsprozess, unterstützt durch das internationale Parlamentarierforum und Regierungen verschiedener Länder, wurde IRENA 2009 in Bonn beschlossen. Sie fand ihren Sitz in Abu Dhabi mit einer Unterabteilung in Bonn. Die Organisation fördert und belegt heute die weltweit erfolgreiche Entwicklung der Erneuerbaren Energien in ihrem jährlichen Bericht.

Als Vorsitzender des UA für Abrüstung und Rüstungskontrolle der SPD Bundestagsfraktion schrieb Hermann Scheer 1986 in seinem Buch „Die Befreiung von der Bombe“ seinen ersten Exkurs zum Thema Erneuerbare Energie und solarer Wasserstoff. Schon damals lehnte er die friedliche Nutzung der Atomenergie ab. Er befürchtete die unkontrollierbare Proliferation der Atomenergie durch den Ausbau von Atomkraftwerken. Heute nach über dreißig Jahren ist es wieder diese Fragen die uns bewegt.

Hermann Scheer war ein Vordenker. So konnte es nicht ausbleiben, dass er über seine Erfahrungen als Parlamentarier mit „Innenansicht“ Bücher schrieb. Sein erstes Buch “Parteien kontra Bürger“ (1979) schrieb er allerdings noch vor seiner Wahl in den Deutschen Bundestag, dem er über dreißig Jahre angehörte. 1982 folgte „Mittendrin“ hier setzt er sich vorrangig mit der Lage der Sozialdemokratie jener Zeit auseinander. „Zurück zur Politik. Die archimedische Wende gegen den Zerfall der Politik“ (1995). Eine Krisenbeschreibung. Dabei stellt er die Frage: mit welchen politischen Brennspiegeln lassen sich die Bedrohungen bekämpfen und mit welchen Trägern eröffnet sich die Möglichkeit einer archimedischen Wende in der Gesellschaft. In seiner Parteienanalyse sieht er schon damals die besondere Chance der Partei „Die Grünen“. Sollten sich die ökologischen Wirtschaftsalternativen in den Gesellschaften entfalten, ohne dass diese zu einem korrespondierenden Verhalten der anderen Parteien führt, haben sie die Chance zu einer unübergehbaren Kraft des 21. Jahrhundert zu werden –weil dies das Thema des kommenden Jahrhunderts verlange.

Weitere Aufsätze und Bücher erlauben einen Einblick in den Politikbetrieb der Jahre seines Wirkens. Das Buch „die Politiker“ (2003) widmete er seiner Tochter Nina Scheer nicht ahnend, dass sie einige Jahr nach seinem Tod im Jahr 2013 und 2017 für die SPD in den Bundestag gewählt wurde und für den Bundestag 2021 erneut antritt.

„Larmoyanz und Frustration über die Widrigkeiten der Politik helfen niemandem weiter. „Wie hältst du das aus?“ – Diese Frage wurde und wird Politikern gestellt, seit es Politik gibt, also seit der Entstehung der Polis. Die viel wichtiger Frage an alle, die um ihre gesellschaftliche Mitverantwortung wissen, war mit den Worten von Hermann Scheer: “Wie haltet ihr das aus, untätig zu bleiben und die Politik für die Gesellschaft anderen zu überlassen, von denen ihr den Eindruck habt, dass sie nicht das Notwendige und Richtige tun?“.