Stromnetze und Speichertechnologien für die Energiewende – eine Analyse mit Bezug zur Diskussion des EEG 2016

Gutachten des DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung)
im Auftrag der Hermann-Scheer-Stiftung

Weblink: https://www.diw.de/sixcms/detail.php?id=diw_01.c.536891.de

Autor*innen:
Claudia Kemfert
Clemens Gerbaulet
Christian von Hirschhausen

Politikberatung kompakt 112
Korrigierte Fassung, Juni 2016.

Zusammenfassung

Im Rahmen der Energiewende ist festgelegt, den Anteil erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2050 auf mindestens 80% des Bruttostromverbrauchs zu steigern. Im Kontext der Diskussionen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes 2016 (EEG 2016) gibt es eine Diskussion über den Zusammenhang zwischen den Ausbauzielen erneuerbarer Energien und der Entwicklung von Netzausbau und Speichertechnologien. Im vorliegenden Gutachten werden einige Argumente in dieser Diskussion geprüft. Neben aktuellen Forschungsarbeiten wird dabei auch auf Beiträge zum Netzausbau zurückgegriffen, welche in den letzten 10 Jahren regelmäßig im Rahmen von Forschungsprojekten und Konsultationsverfahren erstellt wurden (s. Referenzen).

Die drastische Kostendegression der erneuerbaren Energien in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat dazu geführt, dass diese inzwischen weltweit als tragende Säule zukünftiger Stromsysteme betrachtet werden. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive stellen erneuerbare Energien, z.B. Wind und Sonne, im Vergleich zu fossilen oder atomaren Technologien eine günstige Stromquelle dar, da ihre Produktionskosten weiterhin sinken werden und sie verhältnismäßig geringe externe Umweltkosten haben. Auch die deutschen und andere europäische Energieversorger haben inzwischen diese Entwicklung erkannt und orientieren ihre Unternehmensstrategien weg von der Stromherstellung aus konventionellen Energien in Richtung erneuerbarer Energien.

Der Anteil erneuerbarer Energien im deutschen Stromsystem ist im vergangenen Jahrzehnt von ca. 10% auf ein Drittel gewachsen, ohne dass dadurch die Versorgungssicherheit oder Netzstabilität reduziert worden wäre. Laut Aussagen der Bundesnetzagentur ist die Zuverlässigkeit der Stromversorgung in den vergangenen Jahren sogar noch gesteigert worden: Im Jahr 2014 lag die durchschnittliche Unterbrechungsdauer der angeschlossenen Letztverbraucher bei 12,28 Minuten (Bundesnetzagentur, 2015, S. 7); die Zuverlässigkeit der Stromversorgung liegt mit 99,998% weltweit mit an der Spitze.

Die Entwicklung der Übertragungsnetze schreitet in Deutschland kontinuierlich voran und hat bisher zu keinen nennenswerten Einschränkungen des Stromsystems geführt. Jährlich werden ca. 60-100 km Netzausbau an Land fertiggestellt; hierzu kommt die Anbindung von Offshore Windparks. Trotz einer leichten Steigerung sind die Engpässe im Stromnetz und der dadurch verursachte Redispatch gering (Quartal 1-3 2015: 4291 GWh): er lag in den vergangenen Jahren mit Ausnahme von  2015 stets unterhalb von 1% der insgesamt transportieren Menge und betrug 2015 1,1%; hierzu kamen 2015 ca. 0,4% Einspeisemanagement. Insgesamt bewegen sich die Kosten für Systemdienstleistungen (wie z.B. Regelleistung) in den vergangenen Jahren im Bereich von 1-2%.

Es gibt in Deutschland derzeit keine Netzengpassgebiete, in denen eine Verzögerung des Ausbaus erneuerbarer Energien gerechtfertigt wäre, so wie es im Entwurf des EEG 2016 vorgeschlagen wird. Der einzige strukturelle Engpass im deutschen Stromnetz, zwischen den neuen Bundesländern und Bayern, wurde durch die Fertigstellung der EnLAG-Leitung Altenfeld (Thüringen) – Redwitz (Bayern, 2 x 380 kV AC Leitung, ca. 3,4 GW Kapazität) zum Jahreswechsel 2015/16 aufgelöst; weitere längerfristige und strukturelle Engpässe sind im Netz nicht erkennbar.

Der von den Übertragungsnetzbetreibern ermittelte umfangreiche Netzausbaubedarf ist vor allem darauf zurückzuführen, dass das gegenwärtige Marktdesign eine Einspeisegarantie für fossilen Strom nach dem Merit-Order Prinzip auch in Zeiten hoher Überkapazitäten vorsieht, welche dann vor allem für Stromexporte genutzt wird. Insbesondere die drei geplanten Höchstspannungs-GleichstromÜbertragungsleitungen (HGÜ-Leitungen) sind darauf angelegt, in wenigen Stunden mit viel Wind gleichzeitig auch viel Strom aus Kohlekraftwerken zu transportieren. Die Tatsache, dass in einem CO2-intensiven Stromsystem groß angelegter Leitungsausbau zu einer Steigerung der CO2-Emissionen führt, wird inzwischen auch von der internationalen Literatur bestätigt (vgl. Abrell/Rausch, 2015; Brancucci Martínez-Anido, 2013).

Der überhöhte Netzausbau kann dank einer Vielzahl von Maßnahmen auf ein technisch-ökonomisch angemessenes Niveau reduziert werden, wie z.B. ein kluges Einspeisemanagement für fossilen und erneuerbaren Strom, Redispatchmaßnahmen oder eine Umstellung des Marktdesigns auf netzknotenspezifische Preise („Nodalpreise“); hierzu gehört auch eine drastische Reduktion der den ÜNBs zugestandenen, garantierten Eigenkaptalrendite von derzeit über 9%, welches ein Vielfaches vergleichbarer, risikoarmer Anlagemöglichkeiten des aktuellen Kapitalmarktes darstellt. Modellsimulationen zeigen, dass die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt gesteigert werden kann, wenn der Stromproduktions-, Einsatz- und Transportbedarf bedarfsgerecht besser aufeinander abgestimmt werden würde (Kemfert et al., 2016).

Analog zu den erneuerbaren Energieträgern haben sich auch die Stromspeichertechnologien in den vergangenen Jahren rasch weiterentwickelt und dürften künftig auch eine 80-100%-ige erneuerbare Stromerzeugung ermöglichen. Bereits heute steht eine Vielzahl von Speichertechnologien zur Verfügung, wie elektrochemische Batteriespeicher (u.a. Blei-Säure, Lithium-Ionen), Pumpspeicher im Inund Ausland sowie perspektivisch auch „Power-to-Gas“-Technologien mit Rückverstromung. Sowohl Modellrechnungen als auch Einschätzungen von Praktikern legen nahe, dass allein mit derzeit verfügbaren Speichertechnologien ein Anteil von 60-80% Erneuerbare im deutschen Stromsystem machbar sind (Schill et al., 2015; Zerrahn/Schill, 2015; Schucht, 2016); Speichertechnologien stellen für die Stromwende auf absehbare Zeit keinen Engpass dar; in Zukunft werden zunehmend Herausforderungen und Potenziale der Sektorkopplung analysiert werden müssen.

Die empirische Evidenz legt nahe, dass der Ausbau erneuerbarer Energien auf absehbare Zeit weder vom Netzausbau noch von der Verfügbarkeit von Speichertechnologien eingeschränkt wird. Im Gegenteil ist zu beobachten, dass sich die Rahmenbedingungen für die Erneuerbaren in den vergangenen Jahren so verbessert haben, dass technische Fragen für ein auf 80-100% erneuerbare Energien basierten Stromsystems als gelöst gelten (Jacobson et al., 2015); aus ökonomischer Perspektive ist ein auf Wind- und Sonnenenergie basierendes Stromsystem unter Berücksichtigung auch der Umwelteffekte ohnehin wohlfahrtssteigernd. Die Diskussion des EEG 2016 sowie der weiteren Ausgestaltung von Marktdesign, Netzausbau und Speicherintegration sollte sich an dem Leitbild eines zu 80-100% erneuerbaren Stromsystems orientieren.